Fulminantes Comeback: Grasser brilliert bei Jedermann-Premiere!
19. März 2012 | Von Michael Schiebel | Kategorie: KulturSalzburg – Die mit Spannung erwartete Premiere der rundum erneuerten Jedermann-Inszenierung geriet zum Triumph: ein frenetisches Publikum bedachte Regisseur Christian Stückl und sein Ensemble mit stehenden Ovationen. Nicht enden wollenden Sonderapplaus und zahlreiche “Zugabe, Zugabe”-Rufe erntete Debütant Karl-Heinz Grasser, dessen Darstellung des Jedermann den erkrankten Nicholas Ofczarek im Nu vergessen ließ. Der begnadete Selbstdarsteller Grasser stellte vor der Kulisse des Salzburger Doms einmal mehr sein überragendes Schauspieltalent unter Beweis. Kritiker sprechen bereits jetzt von einem Jahrhundertereignis.
Regisseur Stückl hat das antiquierte Hofmannsthal-Stück gründlich entstaubt und das Spiel des reichen Mannes im 21. Jahrhundert angesiedelt, wo Jedermann seiner Hausbank befiehlt, ihm einen Geldsack zu bringen. Jedermann möchte damit stiften gehen, soll heißen: im Ausland eine Stiftung gründen. Jedermanns Mutter ist wenig erfreut und hält ihm wie schon so oft sein Verhalten gegenüber dem Finanzamt und dem Rechtsstaat vor. Als die Steuerbehörden sehen, dass Jedermann sie nicht mehr schätzt und das Geld am Fiskus vorbeiwandert, beschließt die Regierung, den Menschen eine Finanzkrise zu schicken und Jedermann durch die Sendung eines Steuerprüfers an ihre Macht zu erinnern.
Am Abend besucht Jedermann mit seiner Buhlschaft ein Seitenblicke-Fest, wo er sich bis zum Abwinken mit Trüffeln voll stopft und reichlich Champagner tankt. Danach fühlt er sich schwach und krank und hat seltsame Erscheinungen. Als er plötzlich sagt, er höre jemanden seinen Namen rufen, glauben die anderen C-Promis, dass Jedermann bloß einen leichten Damenspitz habe. Doch als Jedermann sich umblickt, steht ein unbekannter Mann hinter ihm, der sich als Steuerfahnder zu erkennen gibt und ihn auffordert, sich für den Weg zu Gericht bereit zu machen. Erst jetzt wird Jedermann sein schlechter Charakter bewusst, und er fleht den Beamten an, ihm nur eine kurze Frist zu gewähren, damit er sich einen Freund suchen kann, der mit ihm vor das Gericht tritt. Nach langem Bitten gewährt ihm der Fahnder eine Frist von einer Stunde.
Zuerst fragt Jedermann seinen guten Freund, den Lobbyisten, ob er ihm nicht einen Gefallen tun will, denn er muss einen bitteren Weg antreten. Der Lobbyist ist bereit, ihm jeden Gefallen zu tun, doch als er hört, dass er Jedermann vor Gericht begleiten soll, weigert er sich. Nicht anders handeln die beiden Anwälte Jedermanns und seine Buhlschaft. Da er sich nun von allen verlassen fühlt, will er wenigstens sein Geld mitnehmen. Aber aus seiner Geldtruhe entsteigt Mammon (großartig: Julius Meinl V.!), der ebenso wenig bereit ist, mit ihm zu gehen.
Jedermann ist zutiefst einsam und der Verzweiflung nahe. Da hört er aus dem Hintergrund eine leise Stimme, die seinen Namen ruft. Als er sich umdreht, sieht er eine gebrechliche Frau, die an einen Stuhl gefesselt ist. Sie gibt sich ihm als sein Gewissen zu erkennen und sagt, dass sie den Schuldreflex nicht auslösen konnte. Jedermann ergreift die letzte Hoffnung auf Rettung und befreit sein Gewissen. Danach reinigt er sich mit einer Selbstanzeige und hüllt sich in eine supersaubere Weste. Nun kann er in Begleitung des Gewissens vor den Richter treten und um Gnade bitten.
Stückls Inszenierung ist einer der betörendsten, der unschlagbaren Königsmomente des Festspieltheaters. Die Textbearbeitung hat den Ballast entsorgt und verwebt gekonnt die Hofmannsthal’sche Vorlage mit einer schonungslosen Analyse der Gegenwart. Der Spielstil erzeugt enorme Dichte, die Aufführung ist eindringlich und sehr intensiv. Über all dem schwebt ein entfesselter Karl-Heinz Grasser, der politisch wie ästhetisch gesehen eine glänzende Bestätigung seiner ganzen Bühnenkunst darbringt. Eine unvergessliche Aufführung!
Für salamiNEWS exklusiv aus Salzburg: Andreas Überberger
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Originally posted 2011-07-28 17:12:05.